Noch vor dem Start schrieb ich 25 Kirchengemeinden an, ob sie sich nicht mit uns am aus Chemnitz ausgehende Europäischen Friedensläuten am 9. Mai beteiligen wollen – und so mit einem Klangband unseren Zug durch Brandenburg und Sachsen markieren. Neben anderen meldete sich Pfarrerin Carmen Khan von der Evangelischen Gemeinde „Zum Vaterhaus“ in Berlin-Baumschulenweg. In der dortigen Baumschule nahmen wir ja vom 7. bis zum 9. Mai Quartier. Die Gemeinde wollte nicht nur die Glocke läuten lassen, sondern lud uns für den 8. Mai zu einem Kurzstopp bei der Anfahrt zum Brandenburger Tor ein. Die Pfarrerin empfing uns im Talar und segnete Pferde, Kutschen und Kutscher. Helge erfüllte ihren Wunsch und half ihr auf eines seiner gewaltigen Pferde. Der Abstieg aber ging leider völlig schief. Gemeindemitglieder kümmerten sich um ihre verletzte Pfarrerin. So sehr wir den Trubel am Brandenburger Tor genossen, waren unsere Gedanken auch immer wieder bei Pfarrerin Khan. Eine erste Nachricht versprach „Entwarnung“, alles so weit „glimpflich“. Kurz bevor der Treck nun Deutschland verlässt, wollte ich doch noch mal hören, wie es Pfarrerin Khan geht. Was ich erfahren musste, machte mich doch sehr betroffen. Nur wenige Tage zuvor war der Ehemann von Pfarrerin Khan, ein aus Bangladesh gebürtiger Muslim, nach seinem Spätdienst bei der Bahn auf dem Heimweg von Unbekannten direkt vor der Kirche brutal zusammengeschlagen worden. Hier seien Auszüge aus unserem E-Mail-Austausch mit ihrer Erlaubnis wiedergegeben.:
Freitag, 23.05.2025 08:16 Liebe Frau Hög, es tut mir leid, dass ich derzeit so schwer zu erreichen bin … die absolute Ausnahmesituation unserer Familie hat jedoch erst in zweiter Linie mit meinem verletzten Knie zu tun. Was uns passiert ist können Sie hier nachlesen www.tagesspiegel.de/berlin/ich-gehe-von-einem-rassistischen-motiv-aus-ehemann-von-berliner-pfarrerin-vor-kirche-zusammengeschlagen-13616827.html
Am Morgen des 8. Mai, war ich nervlich darum ziemlich am Ende, übermüdet und unkonzentriert. Deshalb ist mir der dumme Unfall passiert (und es ist leider viel in meinem Knie kaputt gegangen, wie ich seit gestern weiß, als eine Orthopädin, die MRT-Ergebnisse mit mir besprochen hat und mir die Überweisung gab, um mich für eine OP in einer Klinik vorzustellen). Mein Mann und ich erleben sehr viel Solidarität! Die Kundgebung am 4.5. war so wohl inhaltlich sehr gut, als auch gut besucht und mit einem großen Echo versehen. Das ist total schön, weil es sich bei der rassistischen Gewalt ja um ein Problem handelt, welches weit über unsere Familie hinaus geht. Ich sehe auch durchaus Zusammenhänge zwischen unseren jetzigen Aktionen hier im Kiez, welche für eine gute Gemeinschaft sorgen sollen und dem Friedensglockentreck.
Freitag, 23.05.2025, 17:24 Liebe Frau Khan,
danke für Ihre Zeilen! Ich bin sehr erschrocken darüber, was Ihrem Mann und damit Ihnen und Ihrer Familie angetan wurde. Ich muss zugeben, dass ich, unterwegs mit dem Treck, davon nichts wusste, als wir so fröhlich bei Ihnen vor der Kirche ankamen. Und wir mussten nach Ihrem unglücklichen Sturz weiter, unser Zeitplan drängte, ließen Sie allein zurück. Ich hatte sehr gehofft, dass „glimpflich“ heißt, dass Sie mit Physiotherapie davonkommen. Jetzt schreiben Sie, dass Sie sich auf eine OP vorbereiten müssen, und mir wird Ihre so belastete Situation im Moment erst richtig bewusst. Was Sie jetzt für Kraft brauchen – für Ihren Mann, Ihre Kinder und auch für sich selbst! Es ist ja eben nicht „nur“ das Knie kaputt, wie schwer mag Sie, die für ein friedliches Miteinander eintritt, der feige Anschlag treffen. Was die körperlichen Schäden anbelangt, da vermag ärztliche Kunst ja sehr viel – und es soll alles bestens gelingen, bei Ihrem Mann und auch bei Ihrem Knie! Möge die Solidarität mit Ihrer Familie anhalten und Sie viel Hilfe bekommen. Ich stelle es mir ungeheuer schwierig vor, nach diesem rassistischen Verbrechen weiter mit Vertrauen auf die Nachbarn im Kiez zuzugehen. Vertrauen – das ist auch das, was letztlich die Teilnehmer am Friedensglockentreck trägt, Vertrauen auf freundliche Gastgeber und respektvoller Umgang miteinander.
Freitag, 23.05.2025, 19:28 Uhr Liebe Frau Hög, vielen Dank für die Solidarität! Ich denke nach wie vor, dass es gut war, dass am 8.5. vor der Kirche zum Vaterhaus eben nicht die Gewalt, sondern der Friede im Mittelpunkt stand.
Die Glocke geht für den Frieden auf Reisen in Europa – und wie sieht es mit dem Frieden hierzulande aus?
Jetzt fahren die vier Kutschen mit der Friedensglocke weiter über die Grenze nach Tschechen. Guten Weg! Ich fahre in Gedanken mit…