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Gertrude – die Gans des Friedenstrecks

Unterwegs auf dem Friedenstreck, irgendwo zwischen rumänischen Dörfern und staubigen Landstraßen, erlebten wir ein Geschenk, das uns unvergesslich bleiben sollte. Wir hatten auf der Reise schon viel bekommen: Melonen, Tomaten, selbstgebackenen Kuchen, Wurst, Fleisch, Getränke – einfache Gaben von Menschen, die wenig hatten, aber gerne teilten. Doch an diesem Tag kam eine Familie in einem Pferdewagen auf uns zu. Ihre Kleidung war einfach, die Hände rau, die Gesichter freundlich – und in ihrem Wagen stand eine lebendige Gans. Sie überreichten sie uns mit stolzer Geste, als Zeichen der Wertschätzung und Freude. Und obwohl sie arm waren, wollten sie uns etwas geben, das ihnen selbst viel bedeutete.

Wir waren 19 Leute. Eine Gans, so wussten wir, hätte uns nie satt gemacht. Doch ein Geschenk wie dieses darf man in ihrer Kultur nicht ablehnen. Und so nahmen wir die Gans an. Die Männer waren sofort begeistert. Man sah ihnen die Vorfreude schon in den Augen – und während wir noch berieten, stand in der Küche bereits ein Topf mit heißem Wasser. Messer lagen bereit. Es gab nur ein Thema: Gans essen – ja oder nein? Doch dann erhoben sich die Frauen. Sie organisierten sich.  Sie wurden laut. Sie wurden kreativ. Sie starteten eine Petition: „Freiheit für Gertrude!“ Denn inzwischen hatte die Gans auch einen Namen bekommen: Gertrude. Die Diskussion wurde heiß, die Argumente emotional – und am Ende setzten wir Frauen uns durch. Die Messer wanderten zurück in die Schublade. Aus dem Schlachtopfer wurde ein Reisegefährte.

Gertrude verbrachte die erste Nacht in dem Sack, in dem sie gekommen war – aber mit herausgestrecktem Kopf, damit sie atmen, schauen und schnattern konnte. Sie bekam Wasser und Futter – und vermutlich wunderte sie sich über diese merkwürdigen Menschen. Am nächsten Tag gelang ihr sogar einmal die Flucht. Kurz stolzierte sie frei über den Platz – bis sie von den Männern wieder eingefangen wurde und erneut in ihren Sack „reiste“. So begleitete sie uns weitere 25 Kilometer – als Teil des Friedenstrecks, als Maskottchen, als Mitreisende. Am dritten Tag erreichten wir einen wunderschönen See. Das Wasser war ruhig, die Luft mild – und am Ufer tummelten sich mehrere Gänse. Es war der perfekte Ort.

Gemeinsam ließen wir Gertrude frei. Zuerst schwamm sie etwas verunsichert und allein zwischen den anderen Tieren. Doch schon am nächsten Tag sahen wir sie wieder: eingebettet in eine Gänsefamilie, angenommen und akzeptiert. Sie hatte ihren Platz gefunden. Nicht in einem Kochtopf – sondern in einem Schwarm. Gertrude wurde für uns zum Symbol: — für Gastfreundschaft — für Würde und Respekt — für die Freiheit … und für die tief menschliche Frage, wie wir mit dem umgehen, was uns geschenkt wird.

Sie ist ein Teil der Geschichte des Friedenstrecks geblieben – eine kleine Gans mit großem Herzen, die uns daran erinnerte, dass Frieden manchmal mit der Entscheidung beginnt, nicht zu töten, auch wenn die Umstände erlauben. …. Die Männer allerdings sagen : Schade um’s gute Essen . 😁

(Information: weder Gertrude noch der o.g. Schwarm Gänse waren beringt oder sonst irgendwie einem Menschen gehörend gekennzeichnet; der Schwarm lebt ungefähr 50Km entfernt vom Ort der Schenkung, frei und wild in einem kleinen Weiher; Gertrude schien flugtauglich.)

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